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Sich zur Abhängigkeit bekennen -

ein Problem für Abhängige und Angehörige!

Mein Name ist Werner Frochte (76). Ich bin verheiratet, wir haben eine Tochter und leben in Essen. Anfang Februar 1980 habe ich
wegen meiner Abhängigkeit von Alkohol und Medikamenten eine Entgiftung in der Fachklinik Langenberg gemacht. Aschermittwoch 1980 habe ich zum ersten Mal eine Kreuzbund-Gruppe besucht, und seit dieser Zeit bin ich stabil abstinent. Von Ende März bis Ende Juli 1980 habe ich eine Langzeittherapie gemacht.

Ich habe mich langsam und vorsichtig gegenüber anderen zu meiner Krankheit bekannt. Nach zwei Jahren Abstinenz habe ich das erste Mal auf Bitten des Betriebsratsvorsitzenden meiner Firma versucht, einem Anderen zu helfen, und dadurch ist meine Krankheit in der Firma, wo ich als Metallarbeiter und Galvaniseur beschäftigt wurde, bekannt geworden. Nach sechs Jahren habe ich im Haus der Kirche bei einem Interview mit Alfred Biolek gesprochen. Unter den mehr als 200 Anwesenden waren der Oberbürgermeister der Stadt Essen und meine Tochter, die ihren Vater zum ersten Mal in der Öffentlichkeit erlebt hat. Das ich dort zum ersten mal so öffentlich bekannt wurde hatte ich zuvor mit meiner Frau und meiner Tochter abgesprochen.

Ab Mai 1987 bin ich Teamsprecher des Stadtverbandes Essen mit seinen über 30 Gruppen - und dazu gehört Öffentlichkeitsarbeit in vielfältiger Form. Darüber hinaus war ich z.B. 2007 eine Woche zu einem Erfahrungsaustausch über Sucht-Selbsthilfe in Polen und habe einen Gegenbesuch 2010 in Deutschland begleitet.

Ich spreche über meine Abhängigkeitserkrankung bei allen Gelegenheiten, die es mir ermöglichen, diese Krankheit als Krankheit bekannt zu machen und Ursachen, Auswirkungen, Verlauf und den Umgang damit zu verdeutlichen. Außerdem versuche ich, alle entstehenden Fragen kompetent zu beantworten und dem Negativimage entgegenzuwirken. Das gehört zu meinen Aufgaben im Kreuzbund seit über 25 Jahren. Im privaten Bereich, z.B. bei Feiern oder im Urlaub, sage ich das Notwendige, um Gegebenheiten zu klären.

Das große Bedürfnis des Abhängigen, seine Krankheit zu verbergen, liegt in der Natur der Krankheit, die starke Schuld und Schamgefühle hervorruft. Daher ist es am Anfang wichtig, einem neuen Gruppenmitglied die absolute Verschwiegenheit zuzusichern! In der Gruppe ist ein wiederkehrendes Gespräch über Schuld und Schamgefühle nützlich, wobei eine annehmende, nicht erziehende Gesprächsführung unbedingte Voraussetzung ist.

Das Thema, sich zur Abhängigkeit zu bekennen, wird in regelmäßigen Abständen in der Gruppe behandelt So kann jedes Gruppenmitglied anhand der Erfahrungen seiner Mitmenschen eine eigene Strategie entwickeln. Dabei geht es z.B. um folgende Fragen:

Schützt das Bekennen der Abhängigkeitskrankheit am Arbeitsplatz vor dem Rückfall oder birgt es die Gefahr der Isolation?

Ist es Aufgabe des Abhängigen oder des Partners, die Abhängigkeit im Freundeskreis zu erläutern? Welche Gefühle hat der Suchtkranke, wenn der Partner andere informiert?

Ist es notwendig oder nützlich, meine Abhängigkeit in der Kirchengemeinde zu bekennen?

Welche Gefühle hat der Partner, wenn sich der Abhängige nicht ausreichend zu seiner Abhängigkeit bekennt?
Ich selbst sage anderen Abhängigen zum Thema, und zwar nur, wenn ich gefragt werde, dass ich das in zwei Bereiche teile: Den Beruf und das Privatleben. Im Beruf rate ich zu wegen der Konkurrenz unter den Kollegen zu großer Vorsicht. Meine Einstellung dazu ist so viel wie nötig - und so wenig wie möglich!
Im privaten Bereich rate ich zu mehr Offenheit, wobei auch das von Mensch zu Mensch verschieden ist. Die individuelle Befindlichkeit und Belastbarkeit sind das Maß.

Meine grundsätzliche Einstellung ist, dass ich nicht dazu da bin, meine Mitmenschen zu bedrängen, sondern ihnen, wenn sie es wünschen, zu helfen.

Um den Vorurteilen der Gesellschaft gegenüber Suchtkranken entgegen zu wirken, ist nach meiner Erfahrung folgendes günstig: Niederschwellige, nicht bedrängende, leicht verständliche Information und Selbstdarstellungen von Menschen, die ein hohes Ansehen genießen: Ärzte, Pflegeberufe, Feuerwehrleute, Polizeibeamte und auch Handwerker, Verkäuferinnen, Briefträger oder Friseusen. Gute Information ist wesentlich besser als stereotype Toleranzaufrufe!

Werner Frochte, Essen